
So ganz sicher bin ich mir noch immer nicht: Ist das jetzt wirklich Kunst? Irgendwie beeindrucken diese bunten gehäkelten Korallenriffe ja schon, aber Kunst? Ich weiß nicht so recht. Und doch sind diese bunten Gebilde aus Wolle, Tonbändern, Filmstreifen, Klarsichtfolie und anderen Materialien so faszinierend, dass ich tief in die Welt der Korallen am Rande des Nordschwarzwaldes abtauche, nicht nur in Baden-Baden. Für Kurzentschlossene sind die Korallenriffe im Museum Frieder Burda noch bis Sonntag, 26. Juni zu sehen, auch bei virtuellen Führungen zu „Wert und Wandel der Korallen“.

Das "Baden-Baden Satellite Reef"
„Schöner geht nicht“, sagen die Zwillingsschwestern Margaret und Christine Wertheim angesichts des riesigen „Baden-Baden Satellite Reef“. 4.400 Menschen, fast ausschließlich Frauen, sind ihrem Aufruf gefolgt, Korallen für die Ausstellung im Museum Frieder Burda zu häkeln. 40.400 Werke fluteten das Museum, wurden über Wochen unter Anleitung der Wertheim-Schwestern zusammengenäht und auf Podeste verpflanzt, die die Haustechnik des Museums eigens dafür angefertigt hat. Warum dieser Riesenaufwand?
Fern der Meere
Für die Naturwissenschaftlerin Margaret und die Geisteswissenschaftlerin Christine Wertheim stellt sich diese Frage nicht. In den gehäkelten Riffen sehen sie einen wirksamen Weg, auf die problematischen Lebensumstände der Korallen durch die globale Erwärmung aufmerksam zu machen, gerade und vor allem in Regionen, in denen das Meer fern und das Problem nicht sichtbar ist. Inspiriert sind die Häkelvorlagen vom Great Barrier Reef, denn die Künstlerinnen stammen ursprünglich aus Australien. 2019 zeigten sie auf der Biennale in Venedig das erste „Crochet Coral Reef“, Ausgangspunkt für weitere Ausstellungen weltweit, bei denen 150 Satellite Reefs entstanden, die wenigsten sind allerdings erhalten. Das soll bei dem „Baden-Baden Satellite Reef“ anders sein. Ausstellungs-Sponsor EnBW will in den Firmenzentralen Karlsruhe und Stuttgart einige der Riffe präsentieren. Es soll weitere Interessenten geben.
Abtauchen im Gasometer
Im Gasometer in Pforzheim stehen bereits zwei Häkel-Riffe. Dort ist seit mehreren Jahren das 360-Grad-Panorama „Great Barrier Reef“ von Yadegar Asisi zu erleben. Ja, zu erleben, denn wer den Turm in der Mitte des Panoramas ersteigt, taucht mit Sphärenmusik in den Südpazifik und in das größte Korallenriffsystem der Welt ein. Auf dem Weg dorthin stehen Vitrinen, in denen viel Wissenswertes zu diesen uralten Tieren angeboten wird, jetzt ergänzt durch gehäkelte Korallen und zwei Schau-Aquarien, die zusammen mit dem Naturkundemuseum Karlsruhe eingerichtet wurden. In Karlsruhe haben Johann Kirchhauser und sein Team das größte lebende Korallenriff Deutschlands geschaffen. Mit Livecam. Eine wunderbare Möglichkeit, dem Stress vor dem Bildschirm einfach wegzutauchen.
80 Prozent der Korallen in Karlsruhe stammen aus eigener Zucht. Eine Leidenschaft, die auch Jürgen Wendel aus dem pfälzischen Leinsweiler seit einigen Jahren gepackt hat. Bei ihm wachsen im ehemaligen Weinkeller 35.000 Korallen aus 40 bis 50 Gattungen. Wendel, einer der größten Züchter von Stein- und Weichkorallen in Europa, weiß genau, welche Korallen er zusammensetzen darf und welche nicht. Denn da sind Korallen wie Menschen. Nicht alle vertragen sich miteinander.
Gut zu wissen
Die Ausstellung "Wert und Wandel der Korallen" im Museum Frieder Burda in Baden-Baden läuft bis einschließlich 26. Juni 2022, Di-So 10-18 Uhr, virtuelle Führungen am 18., 21. und 25. Juni 2022.
Der Gasometer in Pforzheim ist täglich von 10-18 Uhr geöffnet.
Das Naturkundemuseum Karlsruhe öffnet Di-Fr 9.30-17 Uhr sowie Sa, So und Fei 10-18 Uhr. Einblick in die Aquarien rund um die Uhr unter: https://www.youtube.com/watch?v=YSxkOAkzyMk